Sie benötigen für effizienteres Arbeiten in Ihrer Kanzlei eine Prozesskultur statt Checklisten. Denn auf der einen Seite wollen wir alle selbständig entscheidende und handelnde Mitarbeiter.

Und auf der anderen Seite brauchen wir bei den Prozessen in einer Kanzlei eine gewisse Einheitlichkeit, ohne die eine reibungslose Zusammenarbeit sowohl in der Kanzlei als auch mit den Mandanten nicht funktionieren kann – das ewige Dilemma des Prozessmanagements. Dazu kommt heute noch eine andere Dimension:

Prozessmanagement in „agilen“ Zeiten

Typische Aussagen – um das Wort Floskeln zu vermeiden – sind  beim Prozessmanagement sicher:

  • „Es ist wichtig, dass die Prozesse auch gelebt werden.“
  • „Die Prozesse müssen im Rahmen des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses regelmäßig weiter entwickelt werden.“

Schon in relativ statischen Zeiten eine echte Herausforderung.

In den jetzt herrschenden „agilen“ Zeiten des permanent Beta and better eine Herkulesaufgabe. Denn nichts bleibt lange wie es ist – die Veränderungszyklen werden im Gegenteil immer kürzer.

Bei der Gelegenheit eine Entschuldigung für die immer wieder auftretenden „Anglizismen“ in meinen Blogbeiträgen. Gerade bei den Themen Digitalisierung und neues Arbeiten sind einige Ausdrücke einfach nicht gut ins Deutsche übersetzbar (Anm. der Verfasserin).

Optimieren des Prozessmanagements: Die Herausforderung

Wie können wir ein Prozessmanagement für die Kanzlei so konzipieren, dass wir zum einen die Qualität unserer Arbeitsergebnisse und die Kundenzufriedenheit gewährleisten, und zum anderen den Raum für Individualität und Verantwortungsbewusstsein bei unseren Mitarbeitern fördern?

Und wie können wir dies vor allem so tun, dass die Prozesse bei Veränderungen nicht immer grundlegend geändert werden müssen?

Der Tod der Checkliste

Um das Prozessmanagement wirklich effizient zu optimieren ist endgültig die „nackte“ Checkliste nicht mehr geeignet.

Die Gefahr, die Punkte der Checkliste abzuhaken und im Tagesgeschäft eben nicht darüber nachzudenken, ob noch etwas getan werden könnte, ist sehr groß.

Kundenzufriedenheit ist in Checklisten eher schlecht abbildbar.

Und Kunden sind nicht nur die externen am Prozess Beteiligten wie Mandant, Finanzamt, Bank und Co., sondern auch die internen Prozesspartner:  Die Kanzleilenkung (finde ich aktuell schöner als Kanzleileitung) und die Kollegen.

Gerade um die Schnittstellen zu diesen Prozesspartnern effizient zu gestalten, stellt ein gutes Prozessmanagement auf die reibungslose Zusammenarbeit ab.

Das hat zum einen eine inhaltliche Komponente: Welche Qualität braucht derjenige, der mit meinem Arbeitsergebnis weiterarbeiten muss?

Zum zweiten eine zeitliche Komponente: Wer braucht wann meine Arbeitsergebnisse?

Und schließlich die Informationskomponente: Wie stellen wir den Informations- und Wissensaustausch im Prozess sicher?

Eine Prozessbeschreibung, die all dies beinhaltet, wird ziemlich komplex.

Daher meine Idee: Grundsatz vor Prozessbeschreibung.

Was Sie in der Kanzlei brauchen: eine Prozess-Kultur statt Checklisten

Sie haben bereits eine Kanzlei-Kultur, oder? Das sind die „ungeschriebenen“ Gesetze der Kanzlei.

Beispiel: Wir sind freundlich zu unseren Mandanten – und hoffentlich auch zueinander.

Und jedes Kanzleimitglied entscheidet selbständig, wie es diesen Grundsatz „lebt“.

Ich sehe in Kanzleien tatsächlich nur wenige Menschen, die diesen Grundsatz völlig falsch interpretieren.

Haben Sie in jedem Ihrer Prozesse stehen:

„Sei doch mal freundlich!“?

Das ist auf den Punkt gebracht, was ich mit „Kultur“ meine.

Andere Beispiele sind die Hilfsbereitschaft untereinander oder der Grundsatz: „Wir reden miteinander, nicht übereinander“.

Welche kulturellen Grundsätze kann es aber im Prozessmanagement geben?

Beispiel Informationsaustausch

Natürlich können Sie in der Prozesskultur Ihrer Kanzlei in jeden Prozess eine Checkliste einbauen, wann wer über welche Dinge zu informieren ist. Für den Azubi oder den neuen Mitarbeiter ein besonders wertvoller Punkt in der Prozessbeschreibung.

Sie werden allerdings ziemlich sicher keine „perfekte“ Checkliste erreichen, die jeden Sonderfall bei jedem Mandanten abdeckt. Vor allem durch die ständigen Änderungen dauert es meist auch recht lange bis bei der nächsten „QM-Sitzung“ die Checkliste aktualisiert wird.

Besser ist es aus meiner Sicht, diesen Punkt „vor die Klammer“ zu ziehen – wie der Mathematiker sagen würde.

Was meine ich damit?

Wenn ein Verantwortungsbereich – wie hier im Beispiel der Informationsfluss – in mehreren oder sogar allen Prozessen eine Rolle spielt, sollten wir ihn einmal grundsätzlich regeln und in der Kultur der Kanzlei verankern – da darf so ein Grundsatz natürlich auch gern geschrieben stehen.

Er gilt dann immer, ohne dass wir in jedem Prozess noch einmal explizit darauf hinweisen müssen.

Mein erster Vorschlag für eine effizientere Prozesskultur in der Kanzlei: Push statt Pull

Auf Deutsch: Jeder, der eine Information hat, denkt selbständig nach, wer diese Info noch braucht, und gibt diese dann aktiv weiter.

Hach, da höre ich manchen von Ihnen denken – was ist daran neu? Das ist doch selbstverständlich.

Ist es? Für alle? Immer?

Ich liiebe das Wort „selbstverständlich“ – wenn ich dieses Wort in einer Kanzlei höre, werde ich so richtig hellhörig. Meine Erfahrung ist, dass der entsprechende Punkt meist genau nicht funktioniert.

Kleines Beispiel: Natürlich ist es selbstverständlich, nach der Nutzung des letzten Blättchens Toilettenpapier immer für eine neue Rolle zu sorgen. Und? Klappt es?

In wie vielen Toiletten in Restaurants, Einkaufszentren etc. waren Sie schon, bei denen immer diese „Toilettenpflege-Checkliste“ hängt?

Besser für Ihre Kanzlei: Prozesskultur statt Checklisten

Die Einführung eines Grundsatzes

Einen Grundsatz nur irgendwo hin zu schreiben, hilft zwar, nützt aber nichts.

Wenn Sie einen solchen Grundsatz in Ihrer Kanzlei einführen, sollte er zu Beginn einmal ausführlich besprochen werden.

  • Warum brauchen wir diesen Grundsatz?
  • Wie sieht meine eigene Verantwortung konkret aus?
  • Wie wirkt sich der Grundsatz auf alle unsere Prozesse aus?

Und hier geht es konkret um die Beispiele aus den einzelnen Prozessen.

Beispiel Auswertungen

In jedem Prozess steht geschrieben, welche Auswertungen der Mandant bekommt, welche die Bank, was geht ans Finanzamt, …

Heute können Sie das ja dankenswerter Weise auch über vordefinierte Auswertungspakete sogar Mandantenindividuell tun.

Schöner Standard. Wenn wir aber Push statt Pull ernst meinen, müssen wir aus meiner Sicht noch den entscheidenden Schritt weiter gehen.

Und das betrifft in letzter Konsequenz dann natürlich auch externe Partner wie den Mandanten.

In der Einkommensteuer gibt es Sonderfälle: Der Mandant braucht den Steuerbescheid für die Bank, die Krankenkasse oder den Kindergarten.

Push heißt hier aus meiner Sicht, der Mandant muss bei uns nicht nachfragen, um diese Dinge zu bekommen, vielmehr bekommt er sie ungefragt dann von uns, wenn er sie braucht.

Wir wissen, wer freiwillig versichert ist, wer Kinder im Kita-Alter hat, und wer bei der Bank Auskunftspflichtig ist.

Eigenverantwortliches Denken und Handeln setzt genau hier an..

Und das beginnt in diesem Beispiel hier schon damit, den Fertigstellungstermin der Erklärung (incl. Bilanz) schon so zu planen, dass wir das Unsrige dazu tun, dass die benötigten Auswertungen fristgerecht zur Verfügung gestellt werden können.

Und wenn wir wissen, dass das Finanzamt 6 Monate oder mehr für die Bearbeitung braucht, reicht es dann nicht, die „Schuld“ auf das Finanzamt abzuschieben…

Anspruchsvoll? Ja!

Aber aus meiner Sicht muss das genau so laufen.

Alles andere ist „Standard“ – also Durchschnitt 😉

Übrigens: Sie können diesen Grundsatz sogar auf die Auswahl Ihrer Software anwenden. Wollen Sie mühsam nach den Auswertungen Ihrer Kanzleisoftware suchen? Oder wollen Sie eine Software, die – einmal eingerichtet – die Informationen „ungefragt“ dann zur Verfügung stellt, wenn Sie sie brauchen?